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Zurück zur Übersicht25.04.2022
Erfolgreich Gras gefressen
Wenn es beim Fußball um Abstiegskampf geht, hört man ständig die
üblichen Phasen "nur die Punkte zählen", "hier gibt's keinen
Schönheitspreis zu gewinnen", und so weiter. Und was soll man sagen, so
abgedroschen sie auch sein mögen, bei manchen Spielen passen sie einfach
perfekt als Zusammenfassung - unser Spiel der ersten Mannschaft gegen
die ebenfalls stark abstiegsgefährdete zweite von Schott Mainz war so
eins. Wir wussten alle, dass alles andere als ein Sieg uns dem Abstieg
ganz schön nahe bringen würde; dementsprechend groß war unsere
Erleichterung, als wir ihn am Ende mit Hängen und Würgen und hauchdünn
mit 4:3 auch eingefahren hatten. Dafür brauchten wir zwar auch einiges
Glück, aber egal, "gewonnen ist gewonnen", "manchmal muss man das Glück
auch mal erzwingen" und "hinterher fragt eh niemand mehr nach dem
Zustandekommen".
Den ersten Punkt erzielte Alex mit einem ungefährdeten Sieg an Brett 7.
Er nutzte seinen Raumvorteil und die vollständige Kontrolle über die
schwarzen Felder, um seinen Gegner immer mehr in die Defensive zu
zwingen, bis der sich kaum noch rühren konnte. Da war es kein Wunder,
dass am Ende eine kleine Kombination entscheidenden Materialgewinn
brachte. Um im Fußballbild zu bleiben: Ein Powerplay vor dem
gegnerischen Tor, bis nach einer gefälligen Kombination der Stürmer ganz
frei im Strafraum nur noch den Fuß hinhalten musste - für Abstiegskampf
fast schon zu umdramatisch.
Deutlich mehr Auf und Ab gab es da schon an Brett 1, wo ich ein
Damenopfer brachte, für das ich aber immerhin Turm, Springer und einen
gefährlichen Freibauern bekam und das ich für einen einigermaßen
unangenehmen Gewinnversuch hielt. Bei einer kaltblütigen Antwort hätte
ich mir damit allerdings auch einen bösen Konter einfangen können. Die
Stellung war jedoch für beide Seiten nicht leicht zu spielen und so
ergab sich durch das Dauerschach, mit dem mein Gegner etwas später
zufrieden war, ein unterhaltsames Unentschieden, das alles andere als
ein farbloses 0:0 war.
Bei Ingo, dessen Stellung an Brett 2 lange Zeit sehr solide und sicher
aussah, genügte dagegen ein Fehlpass zum Springer statt zur Dame, die
sich hätte freilaufen müssen, um ihn in große Schwierigkeiten zu
bringen. Sein Gegner stellte ihn durch ein Bauerndurchbruch auf der
h-Linie urplötzlich vor große Probleme. Das war ein schnell
vorgetragener Flügelangriff, und nach einem schönen Doppelpass zwischen
Dame und Turm musste der schwarze König zum 1,5:1,5 Ausgleich hinter
sich greifen.
Jürgens Sieg an Brett 3 glich dagegen eher einem abgefälschten
Fernschuss, den der Torhüter auf nassem Rasen mitten durch seine Hände
ins Tor rutschen ließ: Beide Seiten hatten ein ausgeglichenes
Turmendspiel korrekt gespielt und das Unentschieden schien schon
unvermeidlich, als Jürgen einen letzten Trumpf ausspielte - durch einen
plötzlichen Zugzwang müsste sein Gegner entweder die Umwandlung von
Jürgens Freibauern zulassen oder seinen eigenen verlieren. Letzteres
wäre gar nicht schlimm gewesen, denn auch mit Minusbauer wäre die
Stellung ein glattes Remis, doch der Gegner ließ sich so beeindrucken,
dass er die Partie aufgab. Neutral betrachtet eine mittelgroße Tragödie,
doch für uns ein ganz wichtiger Zähler.
Denn Claus hatte an Brett 4 durch einen unnötigen Ballverlust im
Mittelfeld einen Bauern verloren, und obwohl er sich alle Mühe gab, noch
dazwischenzugrätschen und für Verwirrung gegen die etwas geschwächte
gegnerische Königsstellung zu sorgen, konnte der Gegner seine Überzahl
geschickt ausspielen und den Ball am herauseilenden Torwart vorbei ins
Netz schieben - der erneute Ausgleich zum 2,5:2,5.
Jörg an Brett 6 brachte uns kurz vor Schluss wieder in Führung. Er kam
schon aus der Eröffnung heraus in einen sehr vielversprechenden
sizilianischen Drachen, und obwohl er die eine oder andere Chance zu
einem einfacheren Gewinn ausließ, stand sein Sieg im Prinzip nie in
Frage. Ein schönes Dribbling, nach dem der Ball zuerst noch vom Pfosten
zurücksprang, bevor er am Ende doch im Tor landete. Das war die
3,5:2,5-Führung!
Zuletzt spielte noch Vladimir an Brett 5 und seine Partie war eine wahre
Achterbahnfahrt: Schon direkt nach der Eröffnung hatte er ganz
unverfroren die Bauern seiner Rochadestellung nach vorne geworfen und
mit dieser gewagten Strategie tatsächlich eine erstklassige Stellung
bekommen. Aber der Angriff verging, ein Minusbauer verblieb (allerdings
bei aktivem Figurenspiel) und schließlich war ein
Läufer-gegen-Springer-Endspiel entstanden, das durch den abseits
stehenden schwarzen König trotz mittlerweile zweier Minusbauern schon
remislich aussah. Doch einen letzten Schocker gab es noch: Anstatt eine
glatte Remisabwicklung zu wählen, ließ Vladimir eine einzügige
Springergabel zu - das wäre um ein Haar ein Eigentor und der Ausgleich
in der Nachspielzeit gewesen, doch sein Gegner zog à tempo den Bauern
statt den Springer nach d4 und der Ball trudelte vom Pfosten ins Aus...
Manchmal entscheiden eben die "berühmten Zentimeter", da ist Schach
schlussendlich eben wie Fußball - nur ohne Würfel.
Daniel Kiefer
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